Universität KonstanzExzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“

Integration kulturwissenschaftlich erforschen

Rudolf Schlögl, Christopher Möllmann

Dient das Integrationsgesetz, wie es in Kürze in Bundestag und Bundesrat zur Abstimmung steht, der Integration? Oder fördert es – wie einige Sozialverbände warnen – vielmehr desintegrative Tendenzen?

Die Debatte um das erste Integrationsgesetz Deutschlands bewegt sich in einem Spannungsfeld, dem sich der Exzellenzcluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“ der Universität Konstanz seit mehreren Jahren als „Forschungsterrain“ widmet. Dank seiner vielfältigen interdisziplinären Studien zu den kulturellen Grundlagen sozialer Struktur- und Ordnungsbildung in historischen wie in gegenwärtigen Gesellschaften kann er einen differenzierenden Beitrag auch zu kontroversen Themen der öffentlichen Diskussion leisten.

Vielfältige, disziplinär ausgewiesene Perspektiven auf Integration

Wenn in den hier versammelten Interviews, kurzen Hintergrundbeiträgen und Stellungnahmen von Clusterangehörigen dieses neue Gesetz eingeordnet und kommentiert wird, so geschieht dies unter Wahrung seiner gattungsbedingten Eigenarten. Es wird als spezifische Botschaft in seiner juristischen Diktion analysiert und auch in einen Zusammenhang mit Landesgesetzgebungen gestellt. Zugleich offenbaren die Beiträge die Vielfalt an Perspektiven, die auf Integration gerichtet werden können. Die des Gesetzgebers ist nur eine unter mehreren; bei Integration haben wir es mit vielschichtigen Gemengelagen und sich überlagernden, nicht zuletzt auch desintegrierenden Prozessen zu tun.

  • Wie gehen Behörden in ihrer Alltagspraxis mit neuen Regelungen um?
  • Welche Konsequenzen hat eine im Gesetz hervortretende Dominanz der Sprach- und Arbeitsmarktintegration für die Zuwandernden und ihren jeweiligen Integrationsparcours?
  • Welche Aspekte von Integration werden ab- oder sogar ausgeblendet?
  • Und schließlich: wer sind die unterschiedlichen Adressatinnen und Adressaten des Gesetzes und seiner aus den Sozialreformen bekannten Rhetorik des „Forderns und Förderns“?

Der Ertrag kulturwissenschaftlichen Forschens bemisst sich auch daran, in diesen Fragen zu Einschätzungen zu gelangen, die begrifflich, historisch oder gegenwartsempirisch ansetzen.

So lassen sich auch auf wissenschaftlicher Ebene unterschiedliche, nämlich disziplinär ausgewiesene Perspektiven auf Integration werfen: Der kulturwissenschaftliche Migrationsexperte vermisst ihren „Möglichkeitsraum“, der Politologe hebt auf die Eigenlogik politischen Entscheidens auch auf dem Politikfeld Integration und Einwanderung ab. Aus literaturwissenschaftlicher Warte lassen sich dem Integrationsgesetz implizit unterlegte Erzählungen entnehmen. Verfassungsrechtlicher Klärungsbedarf, aber auch eine abgeklärte Sicht auf die Regelungsfähigkeit von Gesetzen sprechen aus dem Beitrag des Juristen. Dass kulturwissenschaftliches Forschen hierbei die alltäglichen Bedeutungsnetze, wie sie in Migrationsbehörden entstehen, in den ethnographisch geschulten Blick nimmt, heißt im Umkehrschluss nicht, dass es die strukturellen Eigenarten von Integrationsverläufen vernachlässigt. Arbeitsmarkteinbindung, so zeigt die kurze sozialwissenschaftliche Expertise, stellt aber eben nur einen Aspekt eines umfassenden Prozesses dar und kann nur im Verein mit anderen Integrationsmechanismen erfolgversprechend sein. Kulturwissenschaftliches Forschen ist also seinerseits darauf verpflichtet, Sprachen und Analyseformen bereitzustellen, die der Komplexität des Spektrums „Integration und Desintegration“ gerecht werden.

Verschiedenheit als Voraussetzung für die Bildung und Stabilisierung differenzierter sozialer Strukturen

Integration per Gesetz – inwiefern ist dies möglich und sinnvoll? Die Forschungen im Exzellenzcluster haben in einer Vielzahl von Fällen und Aspekten gezeigt, dass Verschiedenheit überhaupt die Voraussetzung für die Bildung und Stabilisierung differenzierter sozialer Strukturen ist. Entsprechend vielfältig sind die beobachtbaren gesellschaftlichen Mechanismen und Anstrengungen, um soziale und kulturelle Verschiedenheit in sozialen Strukturen auf produktive Weise in eine Beziehung zu bringen. Überdeterminierte Integrationsabsichten liegen hingegen häufig nahe bei desintegrativen Wirkungen.

Diese enge Verbindung von sozialer Differenzierung, Koordination des Verschiedenen und Desintegration stellt die große Herausforderung in der Erforschung der kulturellen Grundlagen von Integration dar. Nur in der interdisziplinären Kooperation über die Grenzen kulturwissenschaftlicher Disziplinen hinweg können strukturelle Aspekte und Phänomene des Diskurses und der Deutung dabei angemessen aufeinander bezogen werden. Nehmen wir die so bezeichnete „Flüchtlingskrise“ zum Beispiel: In welchem rechtswissenschaftliche Rahmen bewegen sich politische Maßnahmen? Wie werden Grenzen nach außen und innerhalb von Gesellschaften gezogen? Welche Akteure verhandeln mit welchen Strategien die Unterbringung von Geflüchteten? Auf welche Narrative greift die öffentliche Debatte zurück?

Wissenschaftliche Forschung kann nicht die Aufgaben politischer Entscheidungsträger übernehmen, aber sie kann mit ihren Ergebnissen Orientierungsmarken im öffentlichen Austausch der Argumente anbieten. In diesem Verständnis seiner gesellschaftlichen Verantwortung hat sich der Exzellenzcluster zum Ziel gesetzt, in einer nächsten Runde der Exzellenzinitiative das Verhältnis von Fluidität und Stabilität in historischen Konstellationen und in der globalisierten Gegenwartsgesellschaft zum Gegenstand eines breiten Verbundes von Forschenden verschiedenster kulturwissenschaftlicher Disziplinen zu machen.