Forschungsfeld B: Sicherheitskulturen und institutionelle Strategiefähigkeit
Sicherheitspolitische Herausforderungen stehen oftmals in einem problematischen Spannungsverhältnis zu den institutionellen Komponenten der jeweiligen nationalen Sicherheitskultur. Auch dies lässt sich beispielhaft an den internationalen Stabilisierungsbemühungen in Afghanistan illustrieren.
Das Atlantische Bündnis hat erhebliche Schwierigkeiten, eine unter den NATO-Mitgliedstaaten konsensfähige, integrierte Strategie für Counterinsurgency, Anti-Terror- und Stabilisierungs- und Wiederaufbaumaßnahmen zu formulieren und umzusetzen. Dies führt zu der grundsätzlichen Frage, ob die Nato-Mitgliedstaaten in Afghanistan derzeit zu einer gemeinsamen Vorgehensweise überhaupt in der Lage sind, was sich insbesondere auf die Bereitstellung ausreichender institutioneller Kapazitäten für die Schaffung stabiler staatlicher Strukturen in Afghanistan auswirkt. Die Einsatzführung in Afghanistan wird stattdessen durch die unterschiedlichen strategischen Schwerpunkte geprägt, die von den an der International Security Assistance Force (ISAF) beteiligten Nationen gesetzt wurden.
Auch hier kommen vermutlich unterschiedliche Sicherheitskulturen zum Tragen. Während Bündnismitglieder wie die Vereinigten Staaten und Großbritannien den Afghanistan-Einsatz von Beginn an als Anti-Terror-Operation verstanden, hat Deutschland, nicht überraschend, aber auch Italien den Stabilisierungs- und Wiederaufbauauftrag wesentlich stärker betont.
Daraus ergibt sich in der Praxis eine am Konsensprinzip orientierte Kompromisslogik. Darunter leiden dann auch die zivilen Komponenten des Protektoratsregimes, so dass es zu sich gegenseitig verstärkenden negativen Effekten nach Art einer self-fulfilling prophecy kommen kann. Am deutschen Beispiel zeigt sich der institutionelle Aspekt eines solchen negativen Zirkels aus Sicherheitskultur und institutionellen Effekten auch auf der politisch-administrativen Führungsebene. Der administrative Apparat der Bundesregierung steht ausgerechnet der Umsetzung der deutschen Philosophie des ‚post-conflict management‘ mit einer starken zivilen Komponente entgegen.
Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr 2006
Bundesministerium der Verteidigung
Das im Weißbuch der Bundesregierung von 2006 geforderte Konzept „vernetzter Sicherheit“, das die politischen, wirtschaftlichen und militärischen Dimensionen bei der Stabilisierung moderner Protektorate gleich gewichtet, bleibt ein theoretisches Konstrukt mit wenig Wirkung. Die geringe Wirkung kann zu einem weiteren Verlust an Unterstützung unter der Bevölkerung sowohl in den Entsendestaaten als auch im Einsatzgebiet führen.
Hierbei handelt es sich um exemplarische Probleme institutionenbezogener Strategiefähigkeit. Einerseits schlagen sich in der relativen Unfähigkeit einzelner Staaten, ihr institutionelles Instrumentarium den Anforderungen moderner Protektorate anzupassen, klassische Reformprobleme nieder
- Konkurrenz um knappe Ressourcen,
- Ressortegoismen,
- Veto-Player Verhalten,
- unzureichendes institutionelles Lernen.
Andererseits findet sich aber hinreichende Evidenz für die Annahme, dass manche Länder die Anpassungsleistungen besser bewältigen als andere und dass dies etwas zu tun hat mit den spezifischen institutionenbezogenen Komponenten ihrer Sicherheitskulturen. Immerhin wird der integrale Ansatz einer „vernetzten Sicherheit“ von den meisten NATO-Staaten geteilt und es werden auch die notwendigen institutionellen Reformen eingeleitet, die innenpolitisch im Wesentlichen unstrittig sind.
Deutschland dagegen kennt nicht allein ein besonders starkes, verfassungsrechtlich abgesichertes Ressortprinzip auf Ebene der Bundesministerien, das durch die hierzulande typischen Koalitionsregierungen in seiner Wirkung als Koordinationshemmnis noch verschärft wird. Vielmehr ist in der nationalen Sicherheitskultur die Zusammenfassung von Kompetenzen und Informationen einem besonderen Rechtfertigungsdruck ausgesetzt. Das Konzept einer vernetzten Sicherheit steht in einer Spannung zu dem breiten Konsens in der deutschen Innenpolitik hinsichtlich der Trennung von innerer und äußerer Sicherheit.
Daraus resultieren Friktionen, die entweder zur schlichten Nicht-Thematisierung der erforderlichen institutionellen Anpassung führen oder zum dilatorischen Umgang mit den tatsächlichen Schwierigkeiten und Widersprüchen. Im Themenschwerpunkt B sollen solche Spannungsverhältnisse zwischen nationalen Sicherheitskulturen und institutionenbezogener Strategiefähigkeit untersucht werden.
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