Erster Projektteil: Determinanten von Legitimität in modernen Protektoraten
In transkulturellen Hierarchisierungsprozessen, wie sie beispielsweise in sogenannten „modernen Protektoraten“ zwischen intervenierenden und intervenierten Gesellschaften ausgetragen werden, konkurrieren völkerrechtliche, westlich-demokratische, traditionale und religiöse Legitimitätsvorstellungen miteinander, die jeweils für sich in Anspruch nehmen, rechtmäßige und unrechtsmäßige Herrschaft zu definieren. Das Spezifikum im Kontext von „modernen Protektoraten“ liegt hierbei darin, dass Legitimität gleichzeitig in der intervenierten wie auch in der intervenierenden Gesellschaft hergestellt werden muss.
Legitimitätsverlust im Kosovo
Steffen Eckhard (2010; 2011) beschäftigt sich in seiner Forschung zum Kosovo und zu Afghanistan mit der Umsetzung von internationalen Politikmaßnahmen in Protektoraten und mit der Frage, welche Effekte sich hierbei aus dem Hierarchiekomplex von internationaler Verwaltung und der Bevölkerung des verwalteten Territoriums ergeben. Er attestiert der UN-Verwaltung im Kosovo einen Mangel an politischer Legitimität in den Augen eben dieser intervenierten Gesellschaft. Eine im Kosovo angewandte Strategie zur Herstellung von Legitimität war die Ausrichtung von Politikmaßnahmen und Verwaltungshandeln im lokalen Kontext an übergeordneten Normen, zum Beispiel an den Menschenrechten. Im Kosovo zeigte diese Strategie zunächst Erfolg und ermöglichte es der UN-Verwaltung, ihre Policies umzusetzen, jedoch nur für einen begrenzten Zeitraum.
Am Beispiel Kosovo lässt sich illustrieren, wie mittel- und langfristig „moderne Protektorate“ von einem massiven Verlust an Legitimität, auch aus Sicht ihrer jeweiligen intervenierenden Gesellschaften, beeinflusst werden. Während sich somit einerseits der Handlungsspielraum im Protektorat verengt, wächst simultan der Druck aus der Heimat, Personal und Ressourcen zu reduzieren. Im Kosovo fand die UN-Verwaltung keine Möglichkeit, mit dem Problem der doppelten Delegitimation umzugehen. Dysfunktionen und Kontrollverlust im lokalen Handeln waren die Folge, so dass sich das Zeitfenster für nachhaltige Friedenssicherung zu schließen begann und die UN ihre Kompetenzen nach knapp 10 Jahren komplett an lokale Akteure transferierte.
Afghanistan-Einsatz: Risiko-Kommunikation als Herausforderung
Florian Roth verfolgt in seiner Forschung die Annahme, dass politische Legitimität in Protektoraten durch öffentliche Kommunikation als zentralem Modus politischer Legitimation produziert wird. Am Beispiel der Interventionsdiskurse in Großbritannien und Deutschland zur gegenwärtigen Intervention in Afghanistan untersucht er die innenpolitischen Legitimitätsanforderungen von „modernen Protektoraten“. Hierbei widmet er sich insbesondere der Frage, wie politische Akteure sogenannte Framing-Strategien nutzen, um einzelne sicherheitspolitische Handlungsoptionen in komplexen Entscheidungssituationen zu legitimieren bzw. zu delegitimieren. Dabei zeigt er, dass eine der zentralen Herausforderungen in der politischen Kommunikation über „moderne Protektorate“ in der diskursiven Verarbeitung von Unsicherheiten, Ambiguitäten und Risiken liegt (Roth 2010, 2011).
Roth argumentiert, dass die innenpolitische Legitimität von sicherheitspolitischen Handlungsoptionen im Umgang mit den sogenannten „neuen Risiken“ wie dem internationalen Terrorismus, Staatszerfall, Migration und Klimawandel davon abhängt, ob es den politischen Akteuren gelingt, eine Framing-Strategie zu entwickeln, die Rücksicht auf die Risikokultur einer Gesellschaft nimmt. Gleichzeitig genügt es angesichts des multinationalen Charakters von „modernen Protektoraten“ keineswegs, eine Legitimationsstrategie zu finden, die allein in einem spezifischen nationalen Kontext greift. Wie sich am Beispiel der NATO in Afghanistan illustrieren lässt, besteht eine der zentralen Herausforderungen an internationale Sicherheitsorganisationen bei der Umsetzung risikozentrierter Strategien in der Artikulation kohärenter und gleichzeitig in unterschiedlichen kulturellen Kontexten greifender Deutungsmuster.
Die arabischen Geberländer im Blick
In ihrer Forschung zur Beteiligung arabischer Staaten an multinationalen Einsätzen wie in Afghanistan kontrastiert Inken Wiese die Erwartungen der westlichen Bündnispartner und der neuen afghanischen Regierung an die finanzstarken Regime am Golf mit der Zurückhaltung selbiger, den Wiederaufbau Afghanistan öffentlichkeitswirksam zu unterstützen. Zumindest in den Augen des Westens scheint für die Legitimierung des Einsatzes mithin die symbolische Beteiligung der arabischen Staaten von größerem Gewicht zu sein als ihr finanzieller und militärischer Beitrag (Wiese 2010).
Wieses Promotionsprojekt betritt inhaltlich und methodisch Neuland, indem es eine bestimmte Gruppe von Akteuren der Entwicklungszusammenarbeit untersucht, über die es bisher kaum Forschungsergebnisse existieren. Wiese weist nach, dass sich die Verständigung auf gemeinsame Entwicklungsagenden in internationalen Gremien und Foren als Machtkampf unter den Geberstaaten über die Definitionen von Entwicklung als Prozess und als Zielzustand äußert.
Das Promotionsprojekt zeigt auf, wie die arabischen Geberstaaten in dem stark durchmachteten Politikfeld der Entwicklungszusammenarbeit agieren, wie sie sich internationaler Entwicklungsdiskurse und Instrumente der Entwicklungszusammenarbeit bedienen und sie adaptieren. Es zeichnet nach, wie die arabischen Geber mit Hierarchien unter den Gebern umgehen und welche Bündnisse punktuell eingegangen werden. Kulturelle und religiös konnotierte Logiken des Gebens, die im Islam auf eine anderthalb Jahrtausende lange Tradition zurückblicken, treten dabei aktuell in den Hintergrund. Wiese zeigt, dass die jüngere arabische Entwicklungszusammenarbeit innen- und außenpolitisch unterschiedliche diskursive Strategien verfolgt, indem beispielsweise innenpolitisch Referenzen auf religiöse Praktiken wie Zakat- und Sadaqa-Spenden bemüht werden, die international vermieden werden.