Universität KonstanzExzellenzcluster: Kulturelle Grundlagen von Integration

Zweiter Projektteil: Wechselbeziehungen von Kultur und Hierarchie

Im zweiten Schritt betrachtete die Nachwuchsgruppe die Wechselbeziehungen von Hierarchie und Kultur. So lässt sich am Beispiel von „modernen Protektoraten“ einerseits zeigen, dass national konstituierte Sicherheitskulturen die Entwicklung und Implementierung von politischen und militärischen Strategien zur Bewältigung von bewaffneten Konflikten und zur Herstellung der besagten doppelten Legitimität beeinflussen. Andererseits wird bei der Analyse von multinational strukturierten modernen Protektoraten deutlich, dass auch die unterschiedlichen intervenierenden Parteien eines Interventionsbündnisses transkulturelle Hierarchien herausbilden.

Informelle transkulturelle Hierarchien zwischen deutschen Ministerien

Wie Martin Zapfe in seinem abgeschlossenen Promotionsprojekt zeigte, betrifft dies auch die bundesrepublikanischen Ministerien, die im Protektorat Afghanistan das Konzept der „Vernetzten Sicherheit“ umsetzen sollen. Sowohl zwischen dem Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) und den zivilen Akteuren als auch zwischen dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und dem Auswärtigen Amt (AA) gibt es normative und mithin kulturell geprägte Differenzen. Diese sind historisch gewachsen: gegenüber dem BMVg mit den spezifischen zivil-militärischen Beziehungen der Bundesrepublik, zwischen BMZ und AA in dem Spannungsfeld von Außen- und Entwicklungspolitik. Die Ministerien sind in keine formale Hierarchie eingebunden, bilden jedoch im Zusammenspiel von normativen Überzeugungen und faktischer Bedeutung vor Ort informelle transkulturelle Hierarchien. Diese erschweren ein Zusammenwirken im Einsatzland.

Desintegrative Prozesse innerhalb der NATO

Vergleichbare Entwicklungen lassen sich nach Timo Noetzel, Benjamin Schreer und Tobias Bunde auch auf übernationaler Ebene feststellen. So sind innerhalb der NATO Prozesse der Desintegration feststellbar, die zu einem erheblichen Teil aus unterschiedlichen normativen Überzeugungen über Stellenwert und Nutzen militärischer Macht resultieren. Sie stellten dar, dass diese Unterschiede zu einer multi-tier NATO führen, der es auf absehbare Zeit schwerfallen wird, die transkulturellen Hierarchien in ihrer Organisation zu überwinden und somit gegenüber den Mitgliedstaaten als auch in deren Bevölkerung Legitimität zu gewinnen.

Somit ist sowohl innerhalb von Staaten als auch in deren Interaktion Sicherheitskultur, speziell mit Blick auf die Stellung des Militärs in Gesellschaft und Politik, eine entscheidende Determinante. Während „Kultur“ in den meisten Studien zur NATO eher als ein integratives Element verstanden wird, weil beispielsweise das Bekenntnis zu gemeinsamen „liberalen Werten“ als Grundlage einer Wertegemeinschaft erklärt wird, betonen Noetzel und Bunde die desintegrativen Wirkungen von Kultur, weil sie davon ausgehen, dass divergierende Weltanschauungen innerhalb des Bündnisses in zunehmendem Maße den Spielraum für kollektives Handeln als Gemeinschaft beschränken.

Sie argumentieren, dass strategic worldviews als Rahmenwerk kollektiv geteilter Ideen und Überzeugungen wirken. Dieses prägt die Interpretation der sicherheitspolitischen Elite einer bestimmten Gesellschaft auf die sicherheitsrelevanten Aspekte der Weltpolitik und spannt somit den Handlungsrahmen für sicherheitspolitisches Handeln des betreffenden Staates auf. Es handelt sich bei den worldviews um Ausschnitte einer „Sicherheitskultur“, die für die Zukunft der NATO relevant sind.

Australien, USA

Sicherheitskulturen standen auch im Mittelpunkt der Untersuchungen von Benjamin Schreer zur australischen Außen- und Sicherheitspolitik. Simone Schelk arbeitete in ihrem Promotionsprojekt die Wirkung der US-amerikanischen Sicherheitspolitik auf die dortige Zivilgesellschaft heraus.

Arbeitsbericht der Forschungsgruppe

Einführung